Ronnie Schildknecht

Athlete Profiles, March 21, 2023

9 times ironman Switzerland champion with his coach Juliano Teruel

Ronnie Schildknecht über Vor- und Nachteile eines Trainer-Engagements

«Im Coaching ist

die KommunikationEentscheidend»

Radfahren Vollgas gab, statt mich etwas zurück- zunehmen. Am Bodenberg jedenfalls war ich vor Olivier und der rief zu meinem Vater am Stras- senrand: «Der da vorne spinnt.» Recht hatte er, denn das abschliessende Laufen war brutal und ich musste noch einige Athleten vorbeilassen.

INTUITIVE ENTSCHEIDUNGEN

Natürlich ging es in meinem Fall ganz gut auf. Schliesslich ist ein sechster Rang für die Premie- re in Zofingen eine sehr starke Leistung. Doch eigentlich sollte man sich grundsätzlich an das halten, was man zuvor mit dem Coach bespro- chen hat. «Grundsätzlich» schreibe ich, weil ich hier verdeutlichen will, dass man immer die Verantwortung bei sich selbst haben sollte als Athlet. Man trifft Entscheidungen im Rennen, für die der Coach nichts kann, da sie meist in- tuitiv und innert weniger Sekunden getroffen werden. Und manchmal haben sie eben so gar nichts zu tun mit dem, was man sich eigentlich vorgenommen hatte, respektive mit dem, was mit dem Coach abgesprochen war.

Weshalb ein Coach trotzdem Sinn macht? Die Zusammenarbeit mit einem Trainer be- schränkt sich ja glücklicherweise nicht nur auf das Besprechen einer Wettkampftak- tik, sondern beinhaltet in erster Linie Trai- ningsplanung und damit verbunden auch Saisonplanung, Leistungssteuerung und vieles mehr. Kurzum: Der Trainer ist im besten Fall eine Vertrauensperson, mit der man sich über all das, was einem im (Trainings-)Alltag beschäftigt, austauschen kann.

DIE ZWEIFEL OHNE COACH

Olivier war mein erster Coach. Als ich zum ewz power team stiess, wurde es Marc Bamert, der kurz davor seine aktive Karriere beendet hat- te. Mit Marc verband mich auch eine freund- schaftliche Beziehung. Wir telefonierten wö- chentlich, besprachen die vergangene Woche, analysierten meine Trainings und wie ich mich

Es gibt – mit und ohne Coach –
viele Wege, die erfolgreich ins Ziel führen. Ronnie Schildknecht (hier bei seinem
9. Sieg am Ironman Switzerland) hat es am eigenen Leib erfahren.

wann fühlte. Er half mir in dieser Zeit meiner Kar- riere sehr, und es gab mir Sicherheit, mich mit ihm auszutauschen. Mit den Erfolgen wuchsen dann meine eigene Sicherheit und meine Erfah- rungen, sodass ich der Meinung war, auch ohne Coach auskommen zu können. Das tat ich eine ganze Weile, und es gab mir etwas mehr Freiheit. Damit verbunden kam aber irgendwann auch ein Gefühl stetigen Hinterfragens. Trainiere ich genug? Liege ich nun hin, weil ich müde bin oder weil ich gerade keine Lust habe? Müsste ich nun nicht noch eine lange Einheit einplanen? Wann soll ich nach Hawaii fliegen? Ich hatte «nur» noch Trainingskollegen und das familiäre Umfeld, um diese Fragen zu besprechen, und irgendwie merkte ich dann: Mir fehlt ein Coach.

Weil die Telefonate mit meinem brasilianischen Freund in San Diego, Juliano Teruel, selbst ein- mal ambitionierter Athlet, immer häufiger wur- den und wir uns auch oft während meiner Hawaii-Vorbereitungen in San Diego sahen, ent- schied ich mich für ihn als Coach. Dass er mich schon so lange kannte, half anfangs extrem, da er stets wusste, was mir gut tun würde und wir uns deshalb fast blind verständigen konn- ten. Auch kam es selten zu Meinungsverschie- denheiten, und wir hatten stets eine gute, entspannte und lustige Zeit.

DIE KEHRSEITE DER KOMFORTZONE

Und irgendwie waren wir ein bisschen wie Brü- der. Das sind wir heute noch, nur ist er heu- te nicht mehr mein Coach. Für die letzten Jah- re meiner Karriere wollte ich nochmals einen neuen Input, den ich mit Lubos Bilek auch habe. Ich profitiere enorm von seinen Erfahrungen als Weltklasse-Coach. Er trainiert unter ande- rem meine Kollegen Sebastian Kienle und Andi Boecherer und übrigens auch meinen neuen bmc-ettixx-Teamkollegen Maurice Clavel. Dar- aus ergeben sich für sämtliche Athleten interes- sante Symbiosen, und gemeinsame Trainings- lager oder Vorbereitungscamps machen auch einen selbst besser.

Zudem verhalf mir Lubos als Coach auch zu neu- er Motivation. Er holte mich auch aus einer ge- wissen Komfortzone heraus, in die ich mich über die Jahre etwas begeben hatte. Und er hat die Distanz, die mir oder auch Juliano da- mals gefehlt hatte, also eine gesunde Aussen- sicht. So war retrospektiv vieles vielleicht et- was zu eingespielt, sodass mir manchmal neue

s war im Jahr 2002, ganz am Anfang nicht die einzigen. Auch bei Chris war die An- meiner Karriere, als ich zusammen spannung spürbar, war es doch für ihn die ers- mit meinem Freund Marc Widmer an te Langdistanz. Das stellte ich bei der Pasta- meiner ersten Duathlon-Langdistanz Party fest, als er, der Star, zu mir – vergleichs- am Powerman Zofingen startete. Ich weise ein Anfänger – kam und mich um einen wurde gecoacht von Olivier Bernhard, Rat bat. Ich glaube nicht, dass ich ihm eine an- der neben anderen Spitzencracks wie gemessene Antwort gegeben hatte. Jedenfalls Stefan Riesen oder Chris McCormack kam er tags darauf nicht ins Ziel ... Ich hinge- ebenfalls am Start war. Marc und ich gen wurde Sechster. Und dies, obwohl ich nicht waren sehr nervös, aber wir waren auf Coach Oli gehört hatte und im Laufen und

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Reize fehlten. Oder mir das, was ich erlebte, einfach nicht zusagte. So war ich beispielswei- se in der Zeit, als ich von Juliano gecoacht wur- de, einmal in der Hawaii-Vorbereitung mit Chris McCormack. Wir trainierten hart und viel, hat- ten aber dennoch Spass und schlossen uns für einige Trainings einer Gruppe um einen bekann- ten Coach an. Abends verabredeten wir uns mal mit dieser Gruppe zum Barbecue. Weil wir ein- geladen waren, dachten wir, würden wir für das Dessert besorgt sein und brachten ein paar Guetzli mit. Während die Frauen nur darauf schielten, assen wir genüsslich davon. Sie hat- ten ein Süssigkeiten-Verbot aufgebrummt erhal- ten, was mich ziemlich irritierte und was mei- ner Meinung nach zu weit geht in der Beziehung Coach–Athlet. Wenn schon das Gewicht zur Debatte steht – und das ist meiner Meinung nach bei Triathletinnen extrem heikel – sollte man eine Zusammenarbeit mit einer Ernäh- rungsberaterin in Betracht ziehen.

SICHERHEIT VERLEIHEN!

Dies habe ich übrigens letztes Jahr getan, als ich mich von der Deutschen Caroline Rauscher beraten liess, weil ich noch ein paar Pfunde zu viel mit mir rumschleppte. Und zwar nicht Fett, sondern Muskeln ... Nein, im Ernst: Gewisse Din- ge sind nicht Aufgabe eines Coaches. Andere umso mehr. Nämlich zu spüren, was ein Athlet gerade braucht, wann der Athlet sich im Trai- ning eher zurücknehmen oder nochmals pushen sollte. Objektiv und ohne Emotion analysieren, neue Wege aufzeigen und motivieren. Und dem Athleten damit ein Gefühl von Sicherheit geben. Ganz egal ob Hawaii-Sieger oder Altersklassen- Athlet. f